Werter DD,
ich weiß, Sie segeln in diesen Tagen zwischen Weinbergen an der Mosel auf jener Wolke, die wir Dusel nennen. Sie mögen sich insofern nicht mit dem zu identifizieren wissen, was nun folgt. Vielleicht trinke ich auch zu wenig von dem, was Ihnen da an der Mosel gereicht wird. MAG SCHON SEIN. Alkohol war mir nie eine Lösung. Und glauben Sie mir, ich bedauere das. Hälfe es doch zuweilen auch bei dem, was ich nun schildern will.
Ich bin wütend, Herr D. Sogar sehr!
Warum denn nur, würden Sie vielleicht fragen, wenn Sie mir nun gegenüber säßen und wir gewiss etwas tränken, das vielleicht nicht von der Mosel, stattdessen von einem anderen Weinberge stammte.
Ich kann das gar nicht so genau sagen, würde ich dann vielleicht antworten. Ich meine mich zu erinnern, nicht immer wütend gewesen zu sein. „Herr D!“, würde ich mich vielleicht echauffieren, „Nun sagen Sie doch einmal: Wie war das denn damals so? Wie war ich denn damals so?“ Und Sie würden vielleicht ausholen und davon erzählen, wie wir vor 15 Jahren beginnend, immer wieder in Ihren Mini stiegen, um gen Großstadt und Techno zu fahren. Und dass wir tanzten aber nie tranken, weil für letzteres nie Geld da war. Vielleicht würde ich mich erinnern und erwidern: „Ja, vielleicht waren diese Tage andere – allein, weil wir für einen Moment zufriedener waren, wenn wir nach einer solchen Nacht gen Sonnenaufgang ins Bett fielen. Vielleicht kümmerten wir uns nicht so viel. Vielleicht kümmerte uns damals nicht so viel.“
Irgendwann, wenn Sie nun also in meiner Küche säßen, sagte ich vielleicht: „Ach, wer weiß das schon noch so genau“, nur, um zwei Sekunden später vom Stuhl gen Einbauschrank zu stürmen und Ihnen daraus ein altes Tagebuch vorzuhalten. Darauf: ein toter Wal, bzw. dessen Bild, das ich annodazumal aus einer Tageszeitung gerissen hatte, um meine jugendlichen Gedanken damit zu zieren. Daneben: meine von Hass erfüllten Kommentare über jene Eltern, deren Kinder auf dem verwesenden Laib des hier an der Nordsee gestrandeten Pottwals tanzten. Ich hasste sie. „Ja, wirklich, Herr D., ich hasste sie. Sehr!“, würde ich schreien.
Ich war also irgendwann schon einmal wütend. Vielleicht war ich dazwischen auch von anderen Dingen motiviert. Indie-Jungs z.B. Aber nun bin ich also wieder wütend, Herr D.
Ich glaube, am aller wütendsten bin ich über all jene da draußen, die nicht wütend sein wollen. Die lieber keine Nachrichten mehr lesen. Die lieber aufschreiben, was ihnen heute Freude bereitet hat und was sie am nächsten Tag schönes erleben möchten. Die es sich bequem machen wollen zwischen pumpkin-spice-was-auch-immer-Lattes und kuscheligen Pullovern. Ich bin manchmal versucht, zu sagen: !Ja, ok. Fair enough.“ Aber wenn dann „Negativität“ wieder zum Hauptproblem der gesamten Menschheit formuliert wird und diese Menschen in Sprechchören beten, wir trügen unser Schicksal alle selbst in unseren Händen. Ohmmm. Überhaupt: Ohmmm. Ja, dann möchte ich schon wieder schreien.
Es ist ja so: Ich singe gelegentlich auch diese „Ohhhmmms“ in Yoga-Stunden, aber nicht, weil ich mich darauf besinnen wollen würde, nur noch „Ohhhhmmm“ zu sein. Ich tue das, weil ich nicht anders kann. Weil ich so wütend, so aufgebracht, so bis zum Anschlag mit Kritik gefüllt bin, dass ich platzen würde, wenn ich nicht gelegentlich „Ohmmm“ sänge.
Und wissen Sie was: Ich glaube, damit bin ich nicht allein. Umso auffälliger „Ohhhmm“ dieser Tage die eine oder der andere ist, umso suspekter ist sie/er mir. All diese Fassaden, die gute Laune, dieser ganze Selbstmarketingsbullshit, der da draußen läuft – das können die, das können wir, das kann ich doch nicht ernst meinen.
Wie gesagt: Ich sollte ganz bestimmt nicht an mir, aber vielleicht an meiner Einstellung zum Alkohol arbeiten.
Laden Sie mich doch einmal an die Mosel ein.
Immer die Ihre,
K.